Wo steht die Brandmauer? CSU-Vize Weber zeigt Verständnis für Melonis EU-Kurs (2024)

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Von: Kilian Beck

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In Brüssel gibt Italiens Regierungschefin die überzeugte Europäerin. Erfüllt Meloni die Anforderungen des EVP-Chefs an seine politischen Partner?

Brüssel – CSU-Chef Markus Söder forderte noch 2022 eine „Brandmauer“ zur italienischen Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Der bayerische Ministerpräsident revidierte sich beim Besuch in Rom Anfang Mai. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) will offenbar nach der EU-Wahl am Sonntag (9. Juni) nicht auf die Stimmen aus Melonis Partei verzichten, um wiedergewählt zu werden. Manfred Weber (CSU), Chef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und nebenbei Vize-Chef der CSU, sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), er sehe Meloni als „eine, die etwas erreichen will, die einen Konsens mitträgt“.

CSU-Vize Weber: Partner der Konservativen müssen „pro Europa, pro Ukraine und pro Rechtsstaat“ sein

Gleichzeitig stellte Weber klar, die zukünftigen Partner der EVP müssten „pro Europa, pro Ukraine und pro Rechtsstaat“ sein, ein bereits zwei Jahre altes Credo. Daher sei eine Zusammenarbeit mit den Rechtsradikalen aus der ID-Fraktion genauso auszuschließen, wie mit der AfD. Die dort organisierten Parteien bestehen den Weberschen Lackmustest anhand aller drei Kriterien nicht. Auch mit der Fidesz-Partei des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, wie der polnischen PiS, sei eine Zusammenarbeit wegen deren „infrage stellen“ des Rechtsstaates auszuschließen.

Wo steht die Brandmauer? CSU-Vize Weber zeigt Verständnis für Melonis EU-Kurs (1)

Meloni sehe Weber als mögliche Partnerin, inwieweit ihre Partei und Regierung seine Bedingungen für eine Zusammenarbeit erfüllen, ließ Weber gegenüber der FAZ weitgehend offen. Zudem sah er weitere mögliche Partner in der EU-Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR), in der auch Melonis „Fratelli d‘Italia“ sitzen.

Melonis wertvolle Stimmen im EU-Parlament – Wo steht die Brandmauer der Konservativen?

Im Mai drohten europäische Sozialdemokraten und Grüne, von der Leyen, die Unterstützung zu entziehen, sollte sie sich von Melonis Partei an die Spitze der EU-Kommission wählen lassen. Zugleich machte die französische Rechtsradikale Marine Le Pen, deren Partei „Rassemblement National“ die ID-Fraktion führt, Meloni Avancen. Daher wird es wohl auch auf die Mehrheitsverhältnisse im neugewählten EU-Parlament ankommen, ob Weber mit der italienischen Rechten paktiert. Wo steht sie also, die von Söder einst geforderte „Brandmauer“ der europäischen Konservativen?

Melonis „Fratelli d‘Italia“ und der Postfaschismus – Wurzeln reichen bis zu Mussolini zurück

Die „Fratelli d‘Italia“ (Dt.: Brüder Italiens) sind eine Partei, die, so der Historiker Joshua Arthurs von der Universität Toronto, ihre „Wurzeln“ im italienischen Faschismus des Diktators Benito Mussolinis hat. Inhaltlich habe sich die Partei zwar seitdem gewandelt, sei aber nicht Willens, über den Faschismus und das eigene Verhältnis zu sprechen, sagte Arthurs dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil. In der Praxis bedeute dies, dass man dieses Kapitel der Geschichte schlicht für abgeschlossen erklärt. Hierher rührt, der für Meloni und ihre Partei häufig verwendete Begriff Postfaschismus.

Melonis Außenpolitik: In Nato und EU und an der Seite der Ukraine?

Außenpolitisch hat die Regierung Melonis und ihre Partei besonders wenig mit dem historischen Faschismus, der sich gewaltsam Gebiete aneignete, zu tun. Meloni verspricht immer wieder Kontinuität in der italienischen Beteiligung an Nato und EU, also grundsätzliche Treue zum Völkerrecht. Zudem stellte sich zumindest politisch an die Seite der Ukraine im Krieg gegen Russland und stellte sich nicht gegen die Geopolitik der EU. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hielt hingegen in seinem „Ukraine Support Tracker“ fest, bis Ende Februar half Italien dem angegriffenen Land mit etwa 1,7 Milliarden Euro – das entspreche weniger als 0,01 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. In Deutschland waren es etwa 14,5 Milliarden Euro, die etwa 0,36 des Bruttoinlandsproduktes entsprechen.

Melonis Verfassungsreform-Plan: Partei ohne Stimmenmehrheit soll automatisch Parlamentsmehrheit in Italien erhalten

Innenpolitisch steht Ministerpräsidentin Meloni bereits länger in der Kritik. Ende Mai debattierte der italienische Senat, die zweite Kammer des Parlaments, über eine Verfassungsänderung, die die Regierungschefin, als „die Mutter aller Reformen“ bezeichnete. Damit will sie das Ministerpräsidentenamt direkt vom Volk wählen lassen, nicht wie bisher vom Parlament. Zudem soll die stimmenstärkste Partei, unabhängig vom genauen Stimmanteil, automatisch 55 Prozent der Parlamentsmandate in beiden Kammern erhalten. Der italienische Präsident verlöre de facto alle seine relevanten Kompetenzen, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender RAI.

Wie die Fachzeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik analysierte, werde Meloni versuchen, in Ermangelung einer Zwei-Drittel-Mehrheit, die Verfassungsänderung 2025 durch einen Volksentscheid zu legitimieren. Oppositionsführerin Elly Schlein, Sozialdemokratin, warf Meloni vor, den „Parlamentarismus auszuhöhlen“.

Ehemaliges EVP-Mitglied: Orbán und die Fidesz-Partei entkernten Ungarns Rechtsstaat

Nun ist der Parlamentarismus kein hartes Kriterium für die Bewertung demokratischer Qualität. Doch was eine starke Parlamentsfraktion mit einem kleineren Koalitionspartner anrichten kann, bewies 2011 Orbán. Ein ehemaliges Mitglied der EVP, von dem Weber sich heute abzugrenzen weiß. Seine Fidesz und eine heute völlig irrelevante christdemokratische Partei änderten die Verfassung Ungarns. Damit zementierte Orbán seine Macht. Die Verfassung ermöglichte unter anderem Wahl- und Medienrechtsänderungen, die seine Abwahl heute, so gut wie unmöglich erscheinen lassen. Darauf folgte, der, von Weber in der FAZ als „infrage stellen“ angesprochene, Abbau des ungarischen Rechtsstaates. Noch ist allerdings in Italien nichts Vergleichbares geschehen.

Wo steht die Brandmauer? CSU-Vize Weber zeigt Verständnis für Melonis EU-Kurs (2)

Weber: Meloni und andere Rechtskonservative „wollen Lösungen“ – Union führt in Umfragen zu EU-Wahl

Verlässliche Partnerin der europäischen Konservativen, und der SPD-geführten Bundesregierung von Olaf Scholz, war Meloni allerdings beim EU-Migrationspakt. Meloni und Teile der EKR „wollen Lösungen“ in der Migrationsfrage, sagte Weber. Daher halte er es auch für richtig, den Versuch der Regierung Melonis Asylverfahren nach italienischen Recht in Anhaltezentren im Nicht-EU-Staat Albanien abzuwickeln, auf EU-Ebene als Lösung zu verhandeln.

Der EVP, so Weber, wolle, aber nicht nur Migrationspolitik in der EU machen, sondern auch „Wohlstands- und Friedenssicherung“ betreiben, und auch hierbei nehme er bei den Linken und Grünen im Brüsseler Parlament wahr, dass diese „gegen fast alle Lösungen“ stimmten. Webers Unionsparteien führen aktuell in Deutschland mit etwa 30 Prozent die Umfragen zur EU-Wahl an. Die EVP wird aller Voraussicht nach stärkste Kraft im EU-Parlament bleiben. Die genauen Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl am 9. Juni werden wohl entscheidend dafür sein, ob Weber nach Lösungen mit Melonis Vertretern in Brüssel suchen wird. (kb)

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